Der menschliche Organismus ist auf Zusammenarbeit ausgelegt. Alles greift ineinander, um einen reibungslosen Ablauf verschiedener Prozesse zu gewährleisten. „Auf zellulärer Ebene heißt das, dass Proteine laufend entweder miteinander oder mit anderen Partnern innerhalb der Zelle interagieren. Erst durch diese Wechselwirkung erhalten sie ihre Funktion“, weiß Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Ulrich Stelzl. Er ist seit September 2015 neuer Professor für Biopharmazeutika und Proteomics an der Uni Graz.
Bestimmte Erkrankungen – wie etwa Chorea Huntington, eine seltene, aber unheilbare erbliche Erkrankung des Gehirns – werden durch die Mutation eines einzigen Proteins ausgelöst. Andere genetische Krankheiten, die häufiger auftreten, wie zum Beispiel Krebs, basieren auf komplexen Wechselspielen innerhalb der Zelle. „Diese müssen wir zuerst genau verstehen, bevor wir versuchen können, ihre Effekte zu bearbeiten. Für eine erfolgreiche Therapie kommt erschwerend hinzu, dass jeder Tumor ein einzigartiges genetisches Profil mit mehr als zehntausend möglichen Variationen aufweist. Diese Variationen beeinflussen Proteine und ihre Kooperationspartner wechselseitig und können so gemeinsam zu einer Veränderung der Zelle beitragen“, erklärt Stelzl.
Der gebürtige Wiener widmet sich daher der Erforschung der zellulären Signaltransduktion. Das sind jene Prozesse, mit denen Zellen unter anderem auf äußere Reize reagieren und die chemische Veränderungen der Proteine in Gang setzen. „Fehlerhafte Signalwege stehen beispielsweise am Anfang von Krebs, aber spielen zum Beispiel auch bei anderen vaskulären Erkrankungen eine große Rolle“, schildert Stelzl. Die Frage, wie diese Modifizierungen genau funktionieren und wie sie das menschliche Protein-Interaktionsnetzwerk insgesamt beeinflussen, wird ihn in Graz künftig beschäftigen. „Auch den Einfluss genetischer Variation auf das Netzwerk direkt zu messen, ist ein wichtiger Aspekt unserer Arbeit“, so der Wissenschafter. Können Muster erkannt und Veränderungen gruppiert werden, lassen sich eventuell auch vergleichbare Krankheitsverlaufe zusammenfassen und auf PatientInnen übertragen. Mit diesen Erfahrungswerten soll eine punktgenaue Medikation entworfen werden, die in Zukunft eine bessere Behandlung unterschiedlichster Krankheiten ermöglicht.
Stelzl, Jahrgang 1971, studierte Technische Chemie in Wien und an der ETH Zürich. „Von der Chemie bin ich immer mehr in die Molekularbiologie und dann zur medizinischen Genomik gekommen“, beschreibt er seinen Weg als Wissenschafter. Nach seiner Doktorarbeit über den Strukturfunktionswechsel von Ribosomen am Max Planck Institut für Molekulare Genetik in Berlin ging er für etwas mehr als ein Jahr als Post Doc an das Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York, wo er auch die Terroranschläge vom 11. September 2001 hautnah miterlebte. Ein zweites Post Doc-Studium führte ihn wieder zurück in die deutsche Landeshauptstadt, an das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (HGF), wo er die ersten umfassenden Protein Netzwerke erstellte. Gemeinsam mit Prof. Erich E. Wanker und drei weiteren Kollegen erhielt Stelzl den Erwin-Schrödinger-Preis 2008 für die Erstellung eines „Schaltplans“, der zeigt, wie tausende Proteine miteinander interagieren. Diese Arbeiten führte er ab 2007 und bis vor Kurzem als Leiter einer Forschungsgruppe am Max-Planck Institut für Molekulare Genetik in Berlin fort und untersucht vor allem die dynamischen Veränderungen der Netzwerke in der zellulären Signaltransduktion.